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Es gibt Episoden im Leben die man nie vergißt.
Die nachfolgend kleine Geschichte gehört für
mich dazu.
Vor mir, das war eine polnische Kapelle.
Zu der Zeit hatte ich noch einige Meter
zurück zu legen.
1962 ging es eines Tages, in Güterwaggons verfrachtet,
nach Frankfurt an der Oder. Zu einer Friedenskundgebung,
wie uns gesagt wurde. Als wir auf dem Platz vor dem
Rathaus eintrafen, war dort bereits eine unübersehbare
Menschenmenge versammelt. Irgendwie gelang es mir, es
war noch nie mein Ding gewesen ganz hinten auszuharren,
mich ganz langsam und mit viel Geschick bis kurz vor
die Tribüne durchzuschieben. Als die Musik einer
polnischen Kapelle fast neben mir zu hören war, wusste
ich, dass ich es fast geschafft hatte. Wenig später
trennten mich dann nur noch eine Stuhlreihe und der
Sicherheitsabstand von der Tribüne.
Auf den Stühlen waren, wie ich dann im Laufe des
Gesprächs mit einer älteren Dame erfuhr, Arbeiterveteranen
platziert worden, die darauf warteten, später auf die
Bühne gerufen zu werden. Kaum wurde mir das kundgetan,
ließ mich der Gedanke, dort oben unbedingt dabei sein
zu wollen, nicht mehr los. Nachdem ich der Frau, mit
etwas Herzklopfen, meinen Wunsch geäußert hatte, bot
sie mir an, mich mit nach oben zu nehmen und als ihren
Enkel auszugeben.
Nach für mich unendlich langer Zeit hatten dann alle
Regierungschefs ihre Reden, von denen ich allerdings
nicht viel mitbekam, gehalten. Es waren neben Ulbricht
und Chruschtschow noch die Staatsoberen Polens und der
CSSR. Daraufhin wurden die Veteranen endlich auf die
Bühne beordert. Ich mischte mich nun voll wilder
Entschlossenheit unter die Gruppe und erreichte gemeinsam
mit ihr den Tribünenaufgang. Die Hälfte der Treppe hatte
ich bereits zurückgelegt, als ich verspürte, wie mich
jemand packte und zurückreißen wollte. Während ich mich
entschlossen losriss, schrie ich, den Blick nach vorn
gewandt: „Ich gehör dazu“ und stand kurz darauf, mit
den anderen zusammen, auf der Tribüne. Bis hier her
reichte wohl der Einflussbereich der Sicherheitskräfte
nicht mehr und sie mussten sich zwangsläufig mit dem
Tatbestand meiner Anwesenheit, auf der Tribüne, abfinden.
Das Herz schlug mir verständlicherweise bis zum Halse,
als ich mich bei den Auserwählten mit einreihte.
Kurz darauf begann das Defilee der Staatschefs, einem
Jeden von uns die Hand reichend. Nun war ich ja, wie
nachvollziehbar sein sollte, mit meinem eher jugendlichen
Outfit, im Protokoll überhaupt nicht vorgesehen. Alle
Regierungschefs stutzten erst einmal ohne Ausnahme, gaben
mir dann aber ebenfalls die Hand. Das Erstaunen stand
ihnen dabei förmlich ins Gesicht geschrieben. Es ist mir
noch immer in unvergesslicher Erinnerung, wie
Nikita S. Chruschtschow dabei breit grinste und
Walter Ulbricht sich ein geradezu süßsaures Lächeln abrang.
Wenige Stunden später erfuhr ich, dass der ganze Akt im
Fernsehen gesendet wurde und ich tatsächlich von Zuschauern
erkannt worden bin. Das war also de facto mein erster
Fernsehauftritt. Ein Tatsachenbericht von mir, über
diesen „unfassbaren Vorgang“, erregte anfangs noch
einiges Aufsehen. Kurz darauf war die Zeit Chruschtschows
jedoch abgelaufen und die Aufzeichnungen für niemanden
mehr von Interesse.
Übrigens, die Hände wusch ich mir noch am gleichen Abend,
trotz aller damaligen Prominenz .
Karona