Weihnachten
– mit leeren Händen einen Strohalm fassen!
Weihnachten
steht vor der Tür. Manch kitschige, aber auch schöne Geschichten
werden erzählt. Eine der letzteren folgt hier:
Vom König mit den
leeren Händen In einer Gemeinde sollte ein Krippenspiel sein. Wie
jedes Jahr am Heiligen Abend. Diesmal hatten junge Leute das
Krippenspiel selber geschrieben. Und sie hatten wirklich an alles
gedacht. Sogar an Ochs und Esel, ja, sogar an das Stroh. Bei der
Generalprobe, bei der angeblich generell alles schief gehen muss,
ging tatsächlich allerhand ziemlich schief. Kaum einer hatte seinen
Text im Kopf, die Kulisse war noch kolossal unfertig, und was das
Schlimmste war: Die drei Könige hatte man schlichtweg vergessen. Aus
unerfindlichen Gründen hatte man diese so wichtigen Rollen überhaupt
nicht besetzt. Da man sie aber irgendwie doch für unentbehrlich
hielt, schlug jemand vor, in der Gemeinde rumzufragen, wer spontan
bereit wäre, König zu sein. Es müsse ja jetzt kein Text mehr
auswendig gelernt werden, es würde genügen, wenn die drei ein
Geschenk mitbrächten und das an der Krippe ablegten. Gesagt, getan.
Und so war es wieder
einmal ganz plötzlich Weihnachten und der Heilige Abend stand auf
dem Programm. Die Kirche war voll, die Leute gespannt und die
Schauspieler aufgeregt. Das Krippenspiel begann, und es begann gut,
es lief wunderbar, niemand blieb hängen, und wenn doch mal einer ins
Stottern kam, war es genau an der richtigen Stelle und hat zur
Weihnachtsgeschichte wunderbar gepasst. Und dann die letzte Szene:
Auftritt der drei Könige, die last Minute zu dieser Ehre gekommen
waren. Ungeprobt sozusagen traten sie auf, ganz live, wie es eben ist
im Leben.
Der erste König war
ein Mann, Mitte vierzig vielleicht, oder auch schon alter. Er hatte
eine Krücke dabei, brauchte sie aber offenbar nicht. Alle schauten
gespannt und spitzten die Ohren, als er die Krücke vor der Krippe
ablegte und sagte: Ich hatte in diesem Jahr einen Autounfall. Ich lag
lange im Krankenhaus. Niemand konnte mir sagen, ob ich je wieder
laufen kann. Jeder kleine Fortschritt war für mich ein Geschenk.
Diese Zeit hat mein Leben verändert. Ich bin aufmerksamer und
dankbarer geworden. Es gibt für mich nichts Kleines und
Selbstverständliches mehr, aufstehen am Morgen, sitzen, gehen und
stehen, dabei sein, alles ist wunderbar, alles ein Geschenk. Ich lege
diese Krücke vor die Krippe als Zeichen fur meinen Dank für den,
der mich wieder auf die Beine gebracht hat!
Es war sehr still
geworden in der Kirche, als der zweite König nach vorne trat.
Der zweite König war
eine Königin, Mutter von zwei Kindern. Sie sagte: Ich schenke dir
etwas, was man nicht kaufen und nicht sehen und nicht einpacken kann
und was mir heute doch das Wertvollste ist. Ich schenke dir mein Ja,
mein Einverständnis zu meinem Leben, wie es geworden ist, so wie du
es bis heute geführt hast, auch wenn ich zwischendurch oftmals nicht
mehr glauben konnte, dass du wirklich einen Plan für mich hast. Ich
schenke dir mein Ja zu meinem Leben und allem, was dazu gehört,
meine Schwächen und Stärken, meine Ängste und meine Sehnsucht, die
Menschen, die zu mir gehören, mein Ja zu meinem Zweifel auch und zu
meinem Glauben. Ich schenke dir mein Ja zu dir, Heiland der Welt!
Jetzt trat der dritte
König vor. Ein junger Mann mit abenteuerlicher Frisur, top
gekleidet, gut gestylt, so wie er sich auf jeder Party sehen lassen
könnte, und alles hielt den Atem an, als er mit ziemlich lauter
Stimme sagte: Ich bin der König mit den leeren Händen! Ich habe
nichts zu bieten. In mir ist nichts als Unruhe und Angst. Ich sehe
nur so aus, als ob ich das Leben leben kann, hinter der Fassade ist
nichts, kein Selbstvertrauen, kein Sinn, keine Hoffnung. Dafür aber
viel Enttäuschung, viel Vergebliches, viele Verletzungen auch. Ich
bin der König mit den leeren Händen. Ich zweifle an so ziemlich
allem, auch an dir, Kind in der Krippe. Meine Hände sind leer. Aber
mein Herz ist voll, voller Sehnsucht nach Vergebung, Versöhnung,
Geborgenheit und Liebe. Ich bin hier und halte dir meine leeren Hände
hin und bin gespannt, was du für mich bereit hast.
Tief beeindruckt von
diesem unerwarteten Königsauftritt zum guten Schluss stand jetzt
eine merkwürdig bedrückende Sprachlosigkeit im Raum bis Josef
spontan zur Krippe ging, einen Strohhalm herausnahm, ihn dem jungen
König in die leeren Hände gab und sagte: Das Kind in der Krippe ist
der Strohhalm, an den du dich klammern kannst!
Weil alle spürten,
dass so gesehen alle mehr oder weniger Könige mit leeren Händen
waren, trotz voller Taschen und Geschenk, konnte man die
Betroffenheit mit Händen greifen. Und so kam es, dass am Ende alle
Leute in der Kirche nach vorne zur Krippe gingen und sich einen
Strohhalm nahmen.
Und da wurde auf einmal
deutlich, dass es am Heiligen Abend ganz und gar keine Schande ist.
mit leeren Händen dazustehen, sondern geradezu die Voraussetzung,
dass man etwas entgegennehmen, etwas bekommen kann.
von
Dr. Ludwig Burgdörfer - aus:“ Erst eilig, dann heilig“
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