...Der Söldnerführer stellt jetzt erst mit Entsetzen
fest, dass ihm der Kampf drei seiner eigenen Leute
gekostet hat. Das war ihm im bisherigen Durcheinander
völlig entgangen. Obwohl mürrisch verstimmt, hält er
sich jedoch nicht mit langen Reden auf, sondern gibt
das Kommando zum Aufsitzen. Nachdem der Kaufmann kurz
darauf das Zeichen zum Aufbruch gibt, setzt sich die
dezimierte Truppe allmählich in Bewegung.
Jetzt, da das Schlimmste überstanden ist, die Männer
wissen, dass es heute keinen Überfall mehr geben wird,
hängt jeder ermüdet aber in freudiger Erwartung seinen
Gedanken nach. Sie freuen sich auf die große Stadt, die
ihnen nunmehr bald in ihren Mauern Schutz und Nahrung
bieten wird. Zuallererst aber Wein aus dem fernen Burgund
und mit ein wenig Glück ein Weib, an deren Busen sie schnell
die ausgestandenen Strapazen vergessen werden.
Den Kaufherrn beschäftigen indes ganz andere Gedanken,
denn, wie gesagt, er hat ja trotz allem guten Grund zur
Zufriedenheit. Die Geschäftsabschlüsse mit den
Lüneburger Kaufleuten waren überaus erfolgreich.
Der Mann wischt sich wieder und wieder, leise vor sich
hinfluchend, den Schweiß von der Stirn, während sein
Rappe, der den heimatlichen Stall schon zu wittern
scheint, seinen Weg zügig und zielstrebig fortsetzt.
Doch plötzlich, sein Oberkörper strafft sich, und fast
gleichzeitig erhellt ein Lächeln sein herbes,
wettergebräuntes Antlitz: Aus der Ferne grüßen, endlich
und heiß ersehnt, die Türme seiner Heimatstadt Lübeck.
Wenig später hat er, mit dem Rest seiner bewaffneten
Eskorte, eines der zahlreichen Stadttore passiert.
Die Wache grüßt nur träge, denn auch sie hat bei
diesen ungewohnten Temperaturen unter der schweren
Rüstung zu leiden.
An diesem frühen Nachmittag haben sich die meisten
Einwohner in den Schatten ihrer Häuser verzogen. Nur
von den nahen Kaianlagen dringt an und ab schwellendes
Stimmengewirr herüber. Der Edelmann überlegt nur kurz
und reitet, nachdem er die Söldner entlassen hat, in
diese Richtung. Seine Müdigkeit scheint mit einem Schlag
verflogen. Jetzt ist er wieder Herr über Schiffe und Waren
und einer der wohlhabendsten Söhne seiner Stadt.
Es ist das ausgehende 13. Jahrhundert. Lübeck ist auf
Grund seines vorteilhaften Standortes als Handelsplatz
die reichste und mächtigste Stadt des Hansebundes.
Marienkirche und Dom künden weithin sichtbar von ihrem
Reichtum. Die Lübecker Patrizier sind sich indessen
ihrer Macht bewusst, denn sie beherrschen den Salz-
und Heringshandel im Ostseeraum fast vollständig.
Auch der Kaufherr, der inzwischen den Verladekai erreicht
hat, weiß diese Macht zu schätzen. Behände schwingt er
sich aus dem Sattel und übergibt einem eilig herbeieilenden
Diener die Zügel. Erst dann betrachtet er wehmütig die
zahlreichen bauchigen, im seichten Travewasser dümpelnden
Koggen. Schon seit Tagen warten einige von ihnen tief
beladen auf günstigen Wind, um endlich in See stechen zu
können.
Die Stauer haben indes die Ankunft ihres Lehnsherrn
kaum zur Kenntnis genommen. Auch sie haben unter der
Hitze zu leiden. Davon kündet der Schweiß, der ihnen in
Strömen über ihre braungebrannten, muskulösen Oberkörper
rinnt, während sie eine wertvolle Salzladung auf einer
seiner Koggen vertäuen. Diese Ware ist ebenfalls für das
ferne Nowgorod bestimmt.
Aufgeregtes Hühnergegacker und heiseres Hundegebell
vermischen sich indes mit dem Geschrei und Gehfluche der
Aufseher. Von all dem nimmt der Kaufmann jedoch kaum
Notiz. Einzig, er treibt die Tagelöhner kurz zur Eile an,
um sich gleich darauf wieder auf seinen Rappen zu schwingen
und der Stadt zuzuwenden. In Gedanken zählt er schon die
Goldtaler und Zobelfelle, die er für seine Waren von
russischen Händlern erhalten wird. -
Ideale sind wie Sterne,
Man kann sie nicht erreichen,
Aber man kann sich an ihnen orientieren.
(Carl Schulz)